Zwischen Schwere und Stärke: Leben mit dem Lipödem

Wenn sich dein Körper verändert, ohne dass du verstehst warum, kann das verunsichern. Beim Lipödem erleben viele Frauen genau das. Wir sprechen darüber, was hinter dieser Erkrankung steckt und wie Wissen und Verständnis helfen, den Druck rauszunehmen.

Das Lipödem verstehen

Deine Beine fühlen sich schwer an. Nach einem langen Tag spannen sie, manchmal schmerzen sie schon bei leichter Berührung.

Und obwohl du aktiv bist, Sport machst, dich ausgewogen ernährst, fühlt sich dein Körper an, als würde er gegen dich arbeiten. Das fühlt sich ungerecht an. Und verwirrend. Viele Frauen erleben genau das und wissen lange nicht, warum.

Hinter diesen Veränderungen kann das Lipödem stecken. Eine Erkrankung, über die noch viel zu wenig gesprochen wird.

Etwas stimmt nicht

Oft beginnt alles schleichend. Ein Gefühl von Schwere, Spannung, vielleicht ein Ziehen in den Beinen. Es ist nicht nur sichtbar, sondern auch deutlich spürbar.

Beim Lipödem lagert sich Fettgewebe ungleichmäßig ab und zwar meist an Beinen, Hüften oder Gesäß, manchmal auch an den Armen, während Hände und Füße unverändert bleiben. Das Gewebe dehnt sich aus und fühlt sich fester oder empfindlicher an [1][2].

Typisch ist, dass beide Körperseiten gleichmäßig betroffen sind. Die Veränderung endet meist knapp oberhalb der Knöchel, wodurch ein sichtbarer Übergang entsteht, das sogenannte Cut-off-Zeichen. [2] Diese klare Grenze ist eines der auffälligsten Merkmale des Lipödems und hilft, es von anderen Erkrankungen wie dem Lymphödem (Ansammlung von Lymphflüssigkeit) zu unterscheiden, bei dem auch die Füße anschwellen [6].

Unter der Haut können sich kleine Knoten oder Unebenheiten bilden, also verdichtete Fettzellen, die sich anfühlen, als würde „etwas darunter liegen“. Das Gewebe reagiert schneller auf Berührung oder Druck, manchmal entstehen blaue Flecken ohne ersichtlichen Grund [1].

Das Gefühl der „Schwellung“ bleibt, selbst wenn du die Beine hochlagerst oder dich bewegst. In frühen Stadien bleibt die Haut glatt, nur das Spannungsgefühl fällt auf. Später kann sie uneben wirken mit kleinen Dellen oder Wölbungen, in der Medizin auch „Matratzenphänomen“ genannt [2].

Je nach Bereich, in dem sich das Fettgewebe sammelt, unterscheiden ÄrztInnen fünf Typen [3]:

  • Typ I: Fett sammelt sich im Bereich von Bauch und Hüfte, rund um den Nabel.
  • Typ II: Das Fett zieht sich von der Hüfte bis zu den Knien, oft mit kleinen Falten an der Innenseite der Knie.
  • Typ III: Die Fettvermehrung reicht von der Hüfte bis zu den Knöcheln, die Füße bleiben ausgespart.
  • Typ IV: Die Arme sind betroffen, meist von den Schultern bis kurz vor die Handgelenke.
  • Typ V: Fett sammelt sich unterhalb der Knie bis zu den Knöcheln.

Je nach Ausprägung lassen sich außerdem drei Stadien unterscheiden von glatter Haut mit kleinen Fettansammlungen über unregelmäßige Knoten bis zu sichtbar überhängenden Fettpolstern, die das Gewebe deformieren können [3].

All diese Veränderungen entwickeln sich langsam. Oft über Jahre.

Und weil sie sich schleichend zeigen, werden sie häufig mit Übergewicht oder Erschöpfung verwechselt. Doch es hat nichts mit mangelnder Disziplin oder falscher Ernährung zu tun, sondern mit Prozessen im Körper, die wir noch zu selten wirklich verstehen.

Wenn Hormone Regie führen

Das Lipödem taucht oft auf, wenn Hormone in Bewegung sind, also mit der Pubertät, Schwangerschaft, den Wechseljahren. Das ist kein Zufall. Östrogen beeinflusst, wo und wie Fett gespeichert wird, steuert Appetit- und Sättigungssignale (u. a. über Leptin), verbessert die Insulinsensitivität und wirkt regulierend auf Entzündungen [3].

Dennoch ist die genaue Ursache noch unklar. Männer sind selten betroffen. Wenn, dann oft mit hohem Östrogen und niedrigem Testosteron [1][3]. In Familien tritt das Lipödem häufig gebündelt auf (ca. 20–60 %), was auf eine genetische Veranlagung hindeutet. Diskutiert wird u. a. eine autosomal-dominante Vererbung. Ein einzelnes „Lipödem-Gen“ ist bisher jedoch nicht identifiziert [1][4].

Was im Gewebe passiert

Beim Lipödem verändert sich, wie Fettzellen wachsen, sich teilen und reagieren. Grund dafür sind Hormone, vor allem Östrogen, und genetische Faktoren, die bestimmte Körperregionen empfindlicher machen [3][7].

Wenn Östrogen-Signale aus dem Gleichgewicht geraten,

  • speichert der Körper Fett bevorzugt an Beinen und Hüften,
  • schwellen Fettzellen an (Hypertrophie) und
  • entzünden sich leicht, was Schmerzen und Druckempfindlichkeit erklärt.

Zudem verändern sich die kleinen Blut- und Lymphgefäße: Sie werden durchlässiger und instabiler, wodurch sich das Gewebe dichter, gespannter und empfindlicher anfühlt [4].

Anders gesagt: Beim Lipödem reagieren Fettzellen und Gefäße nicht mehr auf die üblichen Steuerungsmechanismen.

Zwischen Stigma und Fehldiagnose

Für viele Frauen beginnt die Diagnose Lipödem nicht in der Arztpraxis, sondern mit Jahren der Selbstzweifel.

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Eine Anamnese, körperliche Untersuchung und die genaue Beobachtung, wann und wie sich das Fettgewebe verändert hat, klärt hierbei auf. ÄrztInnen achten auf symmetrische Fettverteilung, Schmerzempfindlichkeit und das Fehlen von typischen Merkmalen anderer Erkrankungen wie Lymphödemen [7].

Das Problem ist, dass viele Fachkräfte immer noch die typischen Anzeichen nicht kennen, oder verwechseln sie mit Adipositas. Diese Unkenntnis bleibt nicht folgenlos. Viele Betroffene leben jahrelang ohne richtige Diagnose, werden missverstanden oder nicht ernst genommen.

Studien zeigen, dass Frauen mit Lipödem deutlich mehr gesundheitsbezogenes Stigma erleben als andere [9]. Kommentare wie „Du musst nur abnehmen“ oder „Das sind nur Wassereinlagerungen“ verletzen und sie wirken nach. Der Druck, „normal“ auszusehen, wird zur täglichen Last.

Viele Frauen versuchen, ihr Aussehen zu verändern, statt ihre Erkrankung zu verstehen. Wenn das „Gewicht" nicht schwindet, wächst die Scham. Doch das Scheitern liegt nicht an Disziplin, sondern an fehlendem Wissen.

Soziale Unterstützung kann hierbei viel bewirken. Frauen, die sich verstanden fühlen, sei es durch FreundInnen, ÄrztInnen oder eine Community, berichten über eine bessere Lebensqualität und ein stärkeres Selbstbild [9].

Auch wenn Aufklärung nicht alles heilen mag, verändert sie, wie wir uns selbst sehen. Weil das Lipödem sowohl den Körper als auch die Psyche betrifft, braucht es beides: medizinische Behandlung und psychologische Begleitung, um Selbstbild und Lebensqualität zu stärken [8]. Zu wissen, was mit dem eigenen Körper passiert, ist der erste Schritt. Zu wissen, dass man nicht allein ist, der zweite.

Was dir gut tun kann

Es gibt nicht die eine Behandlung für das Lipödem, sondern viele mögliche Wege. Sie hängt von Ausprägung, Lebensphase und individuellen Bedürfnissen ab. Welche Therapie sinnvoll ist, sollte immer ärztlich beurteilt werden. Liposuktion (eine spezielle Fettabsaugung, bei der überschüssiges Fettgewebe gezielt entfernt wird) kann eine von mehreren Optionen sein. Auch nicht-chirurgische Ansätze können wirksam sein, wenn sie individuell abgestimmt werden, mit dem Ziel, Symptome zu lindern, die Mobilität zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern [11].

Ziel jeder Behandlung ist nicht Heilung, sondern Erleichterung, Stabilität und Selbstbestimmung. Das gelingt am besten, wenn Körper, Kopf und Umfeld gemeinsam einbezogen werden:

1. Ganzheitlich denken

Eine gute Therapie sollte dich als Ganzes sehen. Sie kombiniert medizinische, physische und psychologische Unterstützung [10]. Zentral sind Selbstfürsorge, Aufklärung und der bewusste Umgang mit dem eigenen Körper. Nicht Kontrolle, sondern Kooperation.

2. Bewegung, die gut tut

Sanfte, regelmäßige Aktivität unterstützt den Lymphfluss und reduziert Druckgefühle. Besonders hilfreich könnten sein: Schwimmen, Radfahren, Spazierengehen oder gezieltes Training für Haltung und Beckenboden [10]. In Kombination mit manueller Lymphdrainage und Kompression kann Bewegung Schmerzen lindern und Beweglichkeit fördern [4][10].

3. Ernährung als Entzündungsbremse

Eine spezielle „Lipödem-Diät“ gibt es nicht, aber die Ernährung kann Entzündungsprozesse beeinflussen. Studien deuten darauf hin, dass eine entzündungsarme, nährstoffreiche Ernährung Beschwerden lindern, den Stoffwechsel entlasten und das Wohlbefinden verbessern kann [1][10]. Wichtiger als Perfektion ist dabei Regelmäßigkeit, Balance und Selbstachtung.

4. Kompression & Pflege

Kompressionskleidung gehört zu den wichtigsten Bausteinen der konservativen Therapie. Sie unterstützt das Gewebe, verbessert die Zirkulation, verringert Reibung und hilft, Schmerzen zu lindern [10][11]. Regelmäßige Hautpflege und kleine Rituale für Beine und Arme können zusätzlich Spannungen lösen und das Wohlbefinden fördern [10].

5. Kopf & Körper zusammen denken

Das Lipödem betrifft nicht nur das Gewebe, sondern auch das Selbstbild. Viele erleben Erschöpfung, Unsicherheit oder Frust nach der langen Diagnosephase. Psychologische Unterstützung, Austausch in der Community und realistische Erwartungshaltung sind deshalb ein wichtiger Teil der Behandlung [8].

Freundschaft mit deinem Körper

Es ist nicht leicht. Das Lipödem verändert vieles: den Körper, den Blick in den Spiegel, das Vertrauen in sich selbst. Und oft kommt all das, bevor jemand dir überhaupt erklärt, was da passiert.

Doch du bist nicht das Problem. Und du bist nicht allein. Dein Körper versucht, dich zu schützen, zu kompensieren, zu funktionieren. Auf seine Weise. Das mag sich manchmal wie Widerstand anfühlen, ist aber ein Zeichen von Intelligenz, nicht von Versagen.

Wissen hilft, diese Sprache zu verstehen. Es nimmt Druck, bringt Klarheit und gibt dir das Stück Kontrolle zurück, das sich verloren anfühlte.

Freundschaft mit deinem Körper bedeutet, ihn nicht länger zu bekämpfen, sondern gemeinsam Wege zu finden, die dir guttun. Deine Gesundheit und dein Wohlbefinden stehen an erster Stelle. Nicht das Ideal, nicht die Zahl auf der Waage, nicht der Vergleich. Du darfst dich wichtig nehmen. Nicht irgendwann. Sondern jetzt.

Quellen

1. Lipedema. (2025, 19. September). Cleveland Clinic. https://my.clevelandclinic.org/health/diseases/17175-lipedema

2. Canning C, Bartholomew JR. Lipedema. Vascular Medicine. 2017;23(1):88-90. doi:10.1177/1358863X17739698

3. Al-Ghadban, S., L. Teeler, M., & A. Bunnell, B. (2021). Estrogen as a Contributing Factor to the Development of Lipedema. IntechOpen. doi: 10.5772/intechopen.96402

4. Kamamoto F, Baiocchi JMT, Batista BN, Ribeiro RDA, Modena DAO, Gornati VC. Lipedema: exploring pathophysiology and treatment strategies – state of the art. J Vasc Bras. 2024;23:e20240025. https://doi.org/10.1590/1677-5449.202400252

5. Child AH, Gordon KD, Sharpe P, et al. Lipedema: an inherited condition. Am J Med Genet A. 2010;152A(4):970–976. doi: 10.1002/ajmg.a.33313.

6. Carvalho, R. (2024). Lipedema: A common though often unrecognized condition. Chinese Journal Of Plastic And Reconstructive Surgery, 6(3), 149–153. https://doi.org/10.1016/j.cjprs.2024.06.005

7. Tomada, I. Lipedema: From Women’s Hormonal Changes to Nutritional Intervention. Endocrines 2025, 6, 24. https://doi.org/10.3390/endocrines6020024

8. Janota, B., Michalska, P. M. & Janota, K. (2025). Lipedema: the intersection of physical and mental health. Archives Of Psychiatry And Psychotherapy, 2. https://www.archivespp.pl/pdf-201427-126922?filename=Lipedema_ The.pdf

9. Falck, J. et al. (2025). Health-related stigma, perceived social support, and their role in quality of life among women with lipedema. Health Care for Women International.

10. Williams, A., Hardy, D., Wounds UK, Expert Working Group, Coppel, T., Cunneen, J., Lipoedema UK, Gordon, K., Hardy, D., Jones, K., Talk Lipoedema, McCarroll, A., O’Neill, C., Smith, S., White, C. & Williams, A. (2017). Best Practice Guidelines: The Management of Lipoedema. In Wounds UK, Expert Working Group, R. Elwell, P. Mortimer, A. Munnoch, D. Pilat & M. Thomas, Wounds UK. https://wounds-uk.com/wp-content/uploads/2023/02/450f55130cff87901188206fd115ccf3.pdf

11. Amato ACM, Benitti DA. Lipedema Can Be Treated Non-Surgically: A Report of 5 Cases. Am J Case Rep. 2021 Dec 6;22:e934406. doi: 10.12659/AJCR.934406. PMID: 34871293; PMCID: PMC8667633.